Friedhof: Grunewald-Forst
Ein etwas “seltsamer” Ort. Mitten im Wald, vor weit über 100 Jahren angelegt, weit entfernt von der Stadt und somit in Einsamkeit, ein kleiner Friedhof.
Schon Fontane erwähnt 1894 (Seiten 12/13) den Friedhof:
- „Vom Teufels-See verfolgen wir die bisherige Richtung, überschreiten sehr bald den breiten Pichelsberg-Paulsborner Weg … und haben demnächst eine ziemlich steile Anhöhe zu erklimmen. Nach 10 Min. weiterer Wanderung sehen wir rechts durch die Kiefern ein schwarzes Bretterhäuschen auf einer Lichtung stehen. Dieses Häuschen dient zum Aufbewahren der Spaten und Hacken, mit denen auf dem dort gelegenen Kirchhofe denjenigen die letzte Ruhestätte bereitet wird, welche im Bereiche des Grunewalds, d. h. also innerhalb des Amtsbezirks „Spandauer Forst“, freiwillig aus dem Leben gegangen sind. Um diesem Selbstmörderkirchhof, wie der Friedhof im Allgemeinen genannt wird, einen Besuch abzustatten, wenden wir uns bei dem Baume rechts am Wege, mit den beiden nach Schildhorn und nach dem Spandauer Berg zeigenden Wegweisern, nach rechts (Spandauer Berg) und sehen nach wenigen hundert Schritten zu unserer rechten das Schwarze Häuschen wieder liegen.
Der Friedhof wurde Mitte der achtziger Jahre von der Forstverwaltung angelegt. Inzwischen hat sich die stille Gemeinde von Jahr zu Jahr vermehrt und mancher Lebensmüde hat hier untzer dem Schatten der immergrünen Föhren die Ruhe gefunden, die er im Leben vergeblich suchte.“
Berdrow hat den Friedhof 1902 wie folgt beschrieben:
- ein “Plateau, in dessen Mitte der Friedhof der Namenlosen liegt, die letzte Ruhestatt derer, die, matt vom fruchtlosen Ringen mit den leiden oder den Rätsels des Daseins, das Leben hier in der Waldeinsamkeit von sich warfen.”
Schmook widmete dem Friedhof auf den Seiten 80 – 96 sogar ein ganzes Kapitel: “Der Spuk vom Friedhof der Namenlosen”.
Hier einige Auszüge:
“Im nordwestlichen Teile der Revierförsterei Eichkamp befand sich im Grunewald eine umhegte Stätte, von der der Volksmund nur mit einer gewissen Scheu sprach: Inmitten des Kiefernwaldes, unweit von Schildhorn, lag dort der letzte Ruheplatz all derer, die freiwillig und unerkannt als Strandgut des Lebens von Havelwellen angespült, aus einem der Grunewaldseen gezogen oder in den Dickungen gefunden worden waren……Auch namenlose Verunglückte befanden sich darunter….
Das Volk aber nannte den Ort “Selbstmörderfriedhof und machte, wenn es ging, einen Bogen drum herum. Denn ganz geheuer sollte es dort nicht sein! Leute, die in der Dämmerung von Schildhorn am Friedhof vorbeigekommen waren, wollten auf ihm geheimnisvolle Schatten huschen gesehen und seltsame Geräusche gehört haben……Gewiß gingen die Ruhelosen in Nacht und Dämmern dort um……”
Um dann führt Schmook weiter aus, dass diese Geräusche von “Wilden Kaninchen, Mäusen, Ratten, Sperber, Habicht, Käuze, Eulen, Füchse, Katzen, Marder, Iltisse, Hermeline, Igel und Spitzmäuse” ausgingen. Dadurch, dass dieser Ort in der Nacht von den Menschen gemieden wurde, konnte sich dort also in der Dämmerung und in der Nacht ein kleines Biotop entwickeln. Gemessen an den Ausführungen von Schmook war der Grunewald damals ein äußerst beliebtes Ausflugsgebiet und vermutlich waren die Tiere froh, dort ein Rückzugsgebiet zu haben.
Schmook berichtet dann weiter, dass er sich eines Nachts im Friedhof auf die Pirsch legte und dort auf einen Wilddieb traf, der dort Kaninchen fing.
Ansonsten widmet sich Schmook in diesem Kapitel ausführlichst von seiner Jagd nach einem “Bock”, welcher dort sein Revier hatte:
“Vor mir überfällt auf hundert Meter der Bock den Weg. Runter vom Rade, weg damit! Büchse herunter, entsichert!
Dort trollt der Bock! Hintergelände frei? Ja, daß Gelände steigt an, im raumen Altholz ohne Unterwuchs ist kein Mensch zu sehen!
Bock, Kiefer, Kiefer, Bock……Mautz!
Und während der Abnorme drüben die letzte Steilflucht macht, sage ich: “Uff!” und wische mir mit dem Taschentuche den Schweiß aus Gesicht und nacken….. –
Wild schlägt mein Herz… Aber ich sah das Zeichnen, die Kugel faßte Leben! –
Ich hole mein Rad und schiebe es durch den Bestand. – Dort in einer Senke liegt der Bock verendet…!”‘
Und dann wird Schmock fast schon melancholisch:
“Ja, das ist ein Gehörn, das sich sehen lassen kann! Unschön, aber stark, fast kapital, und interessant!
Alter Bursche, acht= bis neunjährig! Feist und schwer! Die Verlegung und die Enden! Und erst die starken Rosen, die ich nicht umspannen kann mit einer Hand!…
Jahrelang hat das Gehörn, das den Neid meines Dienstvorgesetzten erregte, in Augenhöhe über meinem Schreibtische gehangen, wo immer ich auch meine Zelte aufschlug…
Immer wieder hat es mir zugenickt und geraunt: “Weißt du noch? Damals, als du auf dem Rade ein Wettrennen mit mir veranstaltest…?” Den …………….. , die es mir raubten, hatte es nichts zu sagen. Vielleicht haben sie es, wie meine Bücherei, zertrampelt, verbrannt……Vielleicht auch ist es verkauft, zu einem Messergriff oder dergleichen verarbeitet, oder aber es hängt an fremder Wand und erzählt niemanden mehr etwas vom einstigen Grunewald, vom Friedhof der Namenlosen…Denn die Sprache der Gehörne versteht nur der Eingeweihte am besten, der Erleger des Bockes selbst…..”
Über das Jagen führt Schmook weiter aus:
“In Forstkreisen ist wohlbekannt, daß man die Dienstfreudigkeit der Forstbeamten durch Gewährung von Jagdmöglichkeiten unbedingt hebt. “ Und “der jagdlose Forstbeamte wird doch nicht immer vor Tau und Tage draußen sein und bis in die Nacht hinein, weil ein gewisser Anreiz für ihn fehlt. Das sollen die Stadtväter wohl bedenken, die weniger Silberlinge wegen unbedenklich die Jagd der Gemeinde, der Stadt, an Fremde verpachten und damit ihren Forstbeamten eine Freude, einen gesunden Anreiz nehmen!
Nun, es waren damals andere Zeiten und ich hoffe sehr, dass die heutigen Förster diesen Anreiz nicht benötigen und das Erlegen von Wild eher als ein notwendigen Übel verstehen, als eine Freude! Und wie Menschen, die ohne von Berufswegen dazu verpflichtet sind, freiwillig Tiere töten können, verstehe ich eh nicht und habe dafür auch kein Verständnis!!!
Aber zurück zum Friedhof. Im April 2008 war ich auf dem Friedhof und habe mir die Gräber mal genauer angeschaut. Zum einen befinden sich dort fünf hölzernen Andreaskreuze mit kyrillischen Inschriften, welche laut Wikipedia an die Beerdigung von fünf zarentreuen Russen, die sich aus Kummer über den Sieg der Bolschewisten im Jahr 1917 selbst getötet hatten und dann aus der Havel gefischt worden waren, erinnern. Zum anderen fiel mir besonders das Grab eines Ehrenbürgers auf, dessen Grabinschrift mich sofort an die lebendigen Ausführungen des ehemaligen Grunewaldforstmeisters Alexander Schmook erinnerten:
Willi Schulz
Oberförster des Grunewalds
geb. 31.10.1881 (?)
verst. 20.12.1928 (?)
Jagd vorbei !
Im Bundesarchiv befinden sich über den Friedhof folgende Bilder:
Nummer 102-10667, 102-12196, 102-112197 und 102-12499
- Im Jahr 2009 war der Friedhof auch Gegenstand der rpp-Reportage „Bilderbuch Grunewald„.
- Berliner Zeitung, 19.11.2018: „Schandacker“ im Grunewald – Der Friedhof für Selbstmörder
Hier meine eigenen Bilder: