Verkehr

Gerade habe ich die Seite über den Stern angelegt. Dabei wurde mir wieder einmal bewusst, wie schön doch der Grunewald in früheren Jahren gewesen sein muss, bevor:

  1. Die Heerstrasse Pichelswerder zerschnitten hat.
  2. Der Grunewald-Stern noch mit einer Bimmelbahnidylle lockte.
  3. Der Grunewald noch am Havelufer endete und nicht an einer (Havel)Chaussee.

Zwar interessiert mich dieses Thema nicht in dem Umfang, dass ich hier etwa nachhaltig politisch aktiv werden würde, aber erwähnen möchte ich es schon:

In den vielen Jahren, seit ich durch den Grunewald laufe – 2007 werden es zehn Jahre sein – habe ich mir mittlerweile eine ziemlich klare Auffassung zugelegt. Ich meine, die den Grunewald zerschneidenden Straßen sollten im Interesse eines geschlossenen Naherhohlungsgebietes geschlossen, bzw. nur für den reinen Zubringerverkehr offen gehalten werden.

Dies betrifft die Straßen, welche an den beiden Sternen zusammenlaufen (was dort aus verkehrstechnischen Gründen aber niemals geschehen wird, also reines “Wunschdenken”), sowie insbesondere die Havelchaussee, wo dies schon “machbar” sein könnte, wenn man denn will:

Pro Sackgasse am Grunewaldturm?

Die Havelchaussee etwa könnte am Grunewaldturm für den Durchgangsverkehr gesperrt werden. Die Besucher könnten also auch weiterhin zum Turm und den dortigen Gaststätten fahren, aber hin und zurück eben nur von je einer Seite (künstliche Sackgasse). Mit einer nur für die BVG (hier fährt nur die Ausflugslinie mit historischen Bussen), Rettung, Polizei und Forstverkehr offenen Schranke könnte dies umgesetzt werden. Kostet auch nicht viel, alle könnten weiterhin reinfahren, die Gaststätten hätten auch weiterhin ihre Gäste, aber man würde den beträchtlichen beidseitigen Durchgangsverkehr von Spandau nach Wannsee und zurück aus dem Wald- und Naherholungsgebiet rausgehalten können. Das Nachtfahrverbot könnte damit sogar komplett wegfallen, denn wer fährt schon Nachts durch den Grunewald, wenn es sich um eine Sackgasse handelt und der Turm und die Restaurants dort geschlossen sind?

Aber auch bei den durch den Grundwald führenden Straßen Hüttenweg, Königsallee und Onkel-Tom-Straße könnte man überlegen, ob nicht im Waldgebiet Teilsperrungen möglich wären.

Ist das Thema grundsätzlich neu?

Mitnichten. Neben stark ideologisch geprägten Auseinandersetzungen Ende der achtziger Jahre, hat man sich bereits vorher mit dem Thema Verkehr beschäftigt. Hier eine Abschrift einer fiktiven Diskussion, veröffentlicht bereits 1902 ! von Hermann Berdrow in seinem Buch “DER GRUNEWALD, Schilderungen und Studien”, geschrieben in Altdeutsch.

Ab Seite 94 (100-103), IX. Der Grunewald und der Berliner beschreibt Berdrow einen fiktiven Tagesauflug mit Dampferfahrt von Berlin nach Schildhorn. Dort, in einem Ausflugslokal, an einem Stammtisch des Grunewaldklubs “Kranke Leber”:

“Aber – Donnerwetter ! – was ist das? Da sitzt ja der ganze Grunewaldklub, vier Mann hoch in der Ecke! ‘ran Kinder den müssen wir begrüßen!

Gestatten die Herren, daß ich vorstelle: Grunewaldclub “Kranke Leber”; Mitglieder:
Herr Oberlehrer Strimpfler,
Herr Dr. Pfefferkorn, prakt. Arzt,
Herr Rentier Feuerspritze und
Herr Posamentierwarenfabrikant Bruchschaden,
lauter ehrliche olle Deutsche.
Gestatten Sie, Platz zu ergreifen?”

“Sehr angenehm! – Angenehm!” –

“Aber nun sagen Sie mir um des Himmelswillen, wie kommen Sie heute in den Grunewald? Haben sich doch etwa nicht im Wochentage versehen?” – Der Klub macht nämlich seit Jahrzehnten den Grunewald stets nur Mittwochs unsicher.

“Sagen Sie nichts, Herr, garnichts!” entgegnete Strimpfler düster.  “Die Schlange – ich meine, der Posamentierfritze hier – hat uns verführt, in diesen sauren Apfel zu beißen. Er wollte durchaus das Stiftungsfest im Freien begehen, und da sitzen wir nun in diesem Höllentrubel. O heiliger Luther und Wegener! Na, wir sind eben dabei, ihn zum Dank dafür aus dem Klub herauszuvotieren!”

“Einträgliches Geschäft, das!” wendete sich der Bedrohte zu uns. “So’n Austritt, meine Herren, kostet nämlich bei uns fünfundzwanzig Meter an die Vereinskasse und der Wiedereintritt, der nach spätestens einer Woche erfolgen muß, ebensoviel. Macht netto Fünfzig M. Wo blos das viele Geld bleibt. Ich glaube, der Kassierer – “

“Pst! Bruchschaden, keine Anzüglichkeiten! Sonst ist gleich eine Majorität für den Antrag da!”

Geknickt sinkt der Bedrohte zusammen; überhaupt herrscht im Klub heute eine mit seiner sonstigen Munterkeit stark kontrastierende gedrückte Stimmung.

“Feuerspritze, Herr! Was brüten Sie denn aus? Sie schauen ja drein, wie ein gekniffener Kater! Sind Sie auch rausgeschmissen?”

“Aus dem Grunewald? Ja, mein Lieber, nächstens ist es so weit. Der Klub kann einpacken, kann sich auflösen,” entgegnet der Gefragte düsteren Antlitzes.

“Nanu! Wieso?”

“Herren lesen wohl keine Zeitung mehr!” platzt er nun wütend aus.
Prachtaße Berlin Düberitze in Sicht, direkte Verbindung zwischen Grunewald und Jungfernheide über Charlottenburg geplant, zweiundzwanzig neue Chausseen durch den Forst, damit die Chausseeflöhe auch allenthalben hinflitzen können, Bebauung von Süd-Westend, Parcellierung von Dahlem, neuer Vorort am Nicolas-See – es fehlt nur noch hier an der Havel entlang Villenkolonie feinsten Stilums mit Rathaus auf’m Pichelsberg und Kirche auf’m Havelberg – dann drüben die nötigen Fabriken, und das letzte Stückchen Gottesnatur zehn Meilen im Umkreis ist auch dahin! Empörend, das!” – Zum Verständnis muß bemerkt werden, daß Herr Feuerspritze seit zwanzig Jahren nur noch den Grunewald besucht und die ganze übrige Umgegend Berlins für eine mit Fabrikessen und Mietskasernen angefüllte Wüste hält.

“Aber verehrter Herr! Das sind ja alles nur Phantasiestücke müßiger Reportergehirne, und werden’s in alle Ewigkeit bleiben. Glauben Sie denn wirklich, daß der Forstfiskus Erlaubnis und Terrain für solche Zwecke vergibt? Uebrigens würde sich ja das alles, mit Ausnahme der Döberitzer Straße, die freilich über Pichelsberg und Pichelswerder gehen müßte, außerhalb des Gatters abspielen, und was da liegt, ist so wie so verloren. Da giebt’s für die Spekulation noch auf Jahrzehnte zu schachern und zu bauen, und so, hoffe ich, wird der Rest unangetastet bleiben, umsomehr als der Kaiser als Jagdherr seine Hand schützend über der alten Waldung hält. Aber das werden Sie mir ja auch zugeben, daß für die Verschönerung des Grunewaldes manches geschehen könnte, daß seine Umwandlung sozusagen zum Stadtpark Berlins eine herrliche Sache wäre.”

Au! da hatt’ ich aber in ein Wespennest gestochen!

“Stadtpark? Park? Sagten Sie Park, Herr!” Schnaubt Feuerspritze; reizende Aussichten! Zweiter Tiergarten meinen Sie, nicht wahr? Mit schönen Rasenparketts, die jedermann bei drei Mark Strafe betrampeln darf, und sittig eingefaßten Kieswegen, in denen der Schutzmann das artige Publikum spazieren führt! Herr, lieber wollt ich ja, der Teufel holte den ganzen Grunewald noch diese Nacht, als so’ne Verhunzung der Natur erleben. Diese verfl….Plänemacher, das Korps hat keine Ruhe, bis alles “verrungeniert” ist, wie der olle Wrangel sagte.”

“Aber Herr, beruhigen Sie sich, auf diese Weise bekommt Ihnen der Nachmittag und der edle Chateau Latour schlecht!”

“Ts, lassen Sie ihn nur toben, er muß seinen Aerger haben, sonst ist so’n Rentier nicht gesund,” wirft der Doktor ein; “ich kenne meinen Freund Feuerspritze ganz genau. Sieh Dir mal, lieber Karl, diese niedlichen jungen Mädchen an, wie rosig und vergnügt, und diese wackeren alten Knaben bei ihrem Skat; die pfeffern noch den Tisch in die Erde!”

“Ach, laß mich mit dem Volk zufrieden! Das fröhnt draußen wie drinnen nur dem rohen Vergnügen. Bier, Skat, Tanzerei um diese Dreieinigkeit dreht sich bei ihnen selbst im Grunewald alles. Von Naturgenuß keine Ahnung!”

“Na, na, alter Freund! Keine Ahnung? Das stimmt nicht ganz! Sie genießen die Natur nur auf ihre Weise, und drei gute Dinge obendrein. Du spielst selbst ganz gern einmal einen Skat, beim Bier sitzest Du wie der Fuchs bei den Trauben, da will Dein Magen nur nicht mehr mit, alter Sünder, und das Tanzen, Freundchen, das ist im Freien eine so urgesunde, Leib und Seele erfrischende Bewegung, daß ich mit Nietzsche überall predigen möchte: Tanzet, hebt eure Beine höher, meine Freunde!”

Lachend stimmten wir bei, und der Doktor fuhr fort: “Aber lassen wir den Uebermenschen und dies Volk, das sich hier so köstlich amüsiert, und bleiben wir beim Thema: Das werden Sie mir doch zugeben, daß der Wald, rein als Wald, verbesserungsbedürftig ist.”

“Wird ja drum auch verbessert! Forstverwaltung thut ein ganzes Teil dazu und würde gewiß noch mehr leisten, wenn nicht die vielen Amtsgeschäfte wären, und wenn nicht vor vor allem aus dem Forst der nötige Ertrag herausgeschunden werden müßte. Sehen Sie sich doch die vielen kleinen Laubholzschonungen, die Horste mit Eichen- und Buchenheistern, die schönen Chausseebäume, die fast in jeder Kiefernschonung eingesprengten Eichen, Birken, Fichten und Lärchen an! Und dann unsere prachtvollen alten Bäume, Eichen, Rüstern und Linden, die reizenden Birkenwäldchen hier und da, diese sumpfigen Erlengründe – wenn das alles nur erhalten und der junge Nachwuchs gepflegt wird, wollen wir schon zufrieden sein und seinen zweiten Tiergarten daraus machen. Nein, lieber sollte man diese verflixten Pfähle mit den ellenlangen Inschriften abhauen: das gäbe einen kulturhistorisch wertvollen Grundstock für das erste Grunewaldmuseum. Es lehrt sich ja doch niemand an die Vogelscheuchen.”

“Ich will Ihnen,” fiel der Oberlehrer ein, “einen bündigen Beweis dafür liefern, daß der Grunewald, so wie er dasteht, schön und natürlich ist. Woher holt sich nun schon eine ganze Generation jüngerer Künstler Motive zu entzückenden Bildchen? Aus dem Grunewald! Da haben wir Eugen Bracht, den Altmeister, da ist Vorgang mit seinen prächtigen Skizzen, da ist Adolf von den Velden, der “Sumpfmaler” des Grunewaldes, Eduard Ockel, der die Pichelsberge in ihrer Frühlingspracht dargestellt hat, ferner Paul Löborg, Karl Friedrich Karthaus und Georg Koch, die das Jagdschloss, Hermann Schnee, Karl Röhling u. a., die den Ausritt von dort zur Hubertusjagd gemalt haben – und dann Walter Leistikow, Leistikow! der Grunewaldmaler “tat’ erochen” – wie unser alter Professor Poseidon zu sagen pflegte – sie kennen seinen Grunewaldsee in der Nationalgallerie, und fast in jeder Ausstellung, fast in jedem Salon erfreut er mein Herz durch ein neues Motiv aus dem Grunewald, meist schwermütige Abendstimmung die dem Forst so gut steht. Na, wer so umworben wird wie er durch diese Größen, an dem muß doch wohl ‘was dran sein!

Darum, meine Herren, lassen Sie uns darauf anstoßen: Der Grunewald, er lebe und bleibe, wie er ist!” Und hell klangen die Gläser aneinander…”

 

In diesem Sinne….