Alexander und Nikolaus
In Vergessenheit geraten: Alexander und Nikolaus
Wahrheit oder Legende?
Zwei zuverlässige Wanderführer überliefern folgendes:
1894 Fontane:
“Schließlich sind noch die rechts und links vor dem Haupteingange zum Schloß aufgestellten beiden Baumstämme zu erwähnen. Dieselben rühren von zwei Baumriesen des Grunewaldes her, unter deren Aesten im Jahre 1837 die russischen Großfürsten Alexander und Nikolaus – (welcher ist gemeint: Kaiser Nikolaus I. Pawlowitsch oder der zu diesem Zeitpunkt erst sechsjährige Großfürst Nikolaus Nikolajewitsch Romanow?) – während eines Manövers gerastet haben. Mit den Buchstaben A. und N. sind die Bäume erst später, nach ihrem Absterben versehen worden.”
1902 Berdrow:
“Im weiteren Verlauf des XIX. Jahrhunderts hat der alte Bau der edlen Gäste genug gesehen. Bis vor wenigen Jahren sah man rechts und links von der Eingangsthür des Schlosses zwei entrindete Baumstümpfe, in welche die Buchstaben A und N eingeschnitten waren. Sie rührten von zwei Baumriesen des Grunewaldes her, unter denen während eines Manövers im Jahre 1837 die russischen Großfürsten Alexander und Nikolaus gerastet hatten.”
Stimmt das?
Denn Schriftwechsel mit einem Leser meiner Webseite, Herrn A.D., lässt darauf schließen, dass es sich bei diesen Überlieferungen in nur um eine Legende handelt.
Zusammentragung:
Leider ist von den beiden Baumstümpfen keine Darstellung überliefert, jedenfalls habe ich noch keine gesehen. Im Grunewald hat ein Manöver im Mai 1837 stattgefunden. Die Diplomgeschichtslehrerin Dr. Gaby Huch berichtet auf Ihrer Webseite in ihrem Kalendarium des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. für das Jahr 1837 folgendes:
13.05.1837 | In Potsdam beginnen die Manöver |
17. – 22.05.1937 | …Das Feld-Manöver im Grunewald am 22.05. muss wegen schlechten Wetters abgebrochen werden… |
06. – 07.08.1837 | Der König besucht ein kleines Manöver bei Spandau. |
11. – 12.08.1837 | Nach Nikolskoe. Am Folgetag findet hier die Einweihung der neuen St. Peter und Pauls-Kirche statt. Im Anschluss unternimmt der König eine Fahrt um die Pfaueninsel auf dem neuen Dampfschiff „Prinz Karl von Preußen“. |
31.08.1837 | Parade und Beginn der Herbst-Manöver. „Zu den diesjährigen Herbstmanövern war wieder ein Lager bei Teltow errichtet, das von den Berlinern sehr besucht wurde.“ (Klöden) |
Über die Anwesenheit von „Alexander und Nikolaus“ oder russischer Fürsten berichtet sie in ihrer Hof-Chronik für 1837 jedoch nichts.
Jedoch gibt das Berliner Abgeordnetenhaus unter Berliner Ehrenbürger an:
1837 „erwarb Zar Nikolaus I. ein Grundstück Unter den Linden in Berlin als Privateigentum. Daraufhin verlieh ihm die Stadt Berlin die Ehrenbürgerwürde. Als Dank stiftete er 5000 Dukaten für das neugegründete Nikolaus-Hospital.„
Er ist der 13. Ehrenbürger Berlins. Darüber, dass sich Nikolaus I. oder sein Sohn Alexander für den Kauf des Anwesens im Jahr 1837 in Berlin aufgehalten hatten, habe ich bisher keine Quelle finden können. Nach der Hof-Chonik von Frau Dr. Huch für das Jahr 1838 befand sich Kaiser Nikolaus I. von Russland erst im Mai 1838 in Berlin, wo ihm dann am 01. Juni 1838 die Ehrenbürgerwürde verliehen wurde.
Bei dem Grundstück „Unter den Linden“ handelt es sich um die heutige Botschaft der Russischen Förderation. Diese gibt auf Ihrer Webseite an:
Die Geschichte der russischen diplomatischen Präsenz in Berlin beginnt 1706, als die erste ständige diplomatische Mission Russlands in die Stadt kam. 1732 kauft der Geheime Rat und Regiments-Quartiermeister Christian Ludwig Müller das Grundstück Unter den Linden 7, wo er ein zweigeschossiges Haus baut. Während des 18. Jahrhunderts wechselt das Anwesen mehrfach den Besitzer und wird zum Teil erweitert.
Im Januar 1837 verkauft Herzogin Dorothea von Sagan das Anwesen [damals Palais Kurland] an Zar Nikolaus l. Nach dem Kauf beginnt dieser mit dem Umbau. Seine bis 1942 gültige Form erhält das Palais nach dem Entwurf von Eduard Knoblauch. Es entstehen 101 Zimmer, verteilt auf drei Etagen. Die prunkvoll mit Marmor und Gold ausgestatteten Säle bieten Platz für bis zu 700 Personen.
Obwohl die Berichterstattungen von Fontane und Berdrow eine sehr hohe Qualität haben, auch wenn es sich nur um Wanderführer handelt, könnte es durchaus sein, dass es sich nur um eine Legende handelt. Oder aber auch, dass 1837 ein Irrtum und 1838 richtig ist.
Die Hof-Chronik von Frau Dr. Huch weist für 1838 zwar folgendes aus:
19.05.1838 | Rückkehr nach Berlin zur Ankunft des Kaisers und der Kaiserin von Russland, vom König in Friedrichsfelde begrüßt. Die Revuen beginnen am 20.5. mit einem Diner für sämtliche Stabsoffiziere in der Bilder-Galerie und einer Gala-Oper beginnen, am Folgetag findet die große Parade statt. In den nächsten Tagen treffen zu den Manövern der König von Württemberg, der König von Hannover, der Großherzog von Oldenburg, der Herzog von Anhalt-Köthen u.a. ein […] |
01.06.1838 | Ehrenbürgerwürde für den russischen Kaiser |
16.091838 | Rückkehr nach Potsdam; Ankunft Charlottes und des Kaisers von Russland zu den in den Folgetagen hier stattfindenden Manövern. |
Was hier fehlt, ist aber noch eine weitere Belegquelle,
- dass 1837 der damals 19jährige Alexander und sein damals erst 6 Jahre alter Bruder Nikolaus oder
- dass 1838 der damals 20jährige Alexander mit seinem Vater Kaiser Nikolaus I.
tatsächlich an einem Manöver im Grunewald teilgenommen hatten.
Auch fehlt ein (Bild)Beweis oder eine weitere Überlieferung, dass sich dort (1894/1902) überhaupt „bis vor wenigen Jahren“ „entrindete“ und „aufgestellte“ Baumstümpfe mit diesen Initialien befunden haben.
Hier besteht noch die Möglichkeit, Bildmaterialien vom Schlosseingang aus der Zeit von vor 1900, also von ca. 1880-1899, auszuwerten. Also aus jener Zeit, wo sie sich die Wildschweinplastik noch vor dem Eingang befand. Auf den mir vorliegenden Bildern aus diesem Zeitraum (Galerie) kann ich eindeutig keine Baumstümpfe entdecken. Unklar sind aber einige Aufnahmen aus den Jahren um 1897, zu denen auch diese Ansichtskarte gehört:
1864 jedenfalls war der Höhepunkt der Hubertusjagd am 03. November die Anwesenheit des russischen Kaisers Alexander II, siehe Bild. Nikolaus I lebte zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr, er verstarb 1855.
Auskunft der „Stiftung Preusische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg“:
Nach einer diesbezüglichen Anfrage erhielt ich von der Schlossbereichleiterin des Jagdschloss Grunewald, Frau Külow, und dem wissenschaftlichen Redakteur der Schlösserdirektion, Herrn Dr. Dilba, freundlicherweise folgende Auskunft:
Wenn, dann müsste es sich bei den beiden um den Zaren Nikolaus I. (1796-1855) und den Zarewitsch Alexander (II.) (1818-1881) handeln.
1829 waren Zar (Nikolaus I.) und Zarin (Charlotte von Preußen) in Potsdam und Berlin. Ob es 1837 einen Besuch des Zaren in Berlin gab, müsste recherchiert werden.
Vor dem Haupteingang des Schlosses stand 1832 eine Kastanie. Es gibt ein Gemälde von Wilhelm Barth aus diesem Jahr. Die Kastanie stand auch noch im frühen 20. Jahrhundert im Hof und wurde in den 1960er Jahren durch zwei Linden ersetzt.
Baumstümpfe mit Initialen gab es zumindest hier am Jagdschloss nicht.
Von daher scheint es so zu sein, dass es sich bei den Überlieferungen von Fontane und Berdrow tatsächlich nur um eine Legende handelt!
Offen bleibt nun die Frage, wie(so) diese Legende entstanden ist?