“Ein sonniger Herbstmorgen des Jahres 1543. Auf dem Kurfürstenwege, der sich als schmaler hoher Damm durch die moorigen Gründe südlich vom Dorfe Lietzow windet, tragen feurige, schwere Rosse eine Schar stattlicher Kavaliere und Damen dem Spandauer Forste zu, dessen Kontouren sich als unabsehbarer grüner Saum vom westlichen Horizont abheben…
Heute führt der Kurfürstendamm fast geraden Wegs bis an die Pforten des grünen Waldes. Damals aber setzten ihm auf halber Strecke unergründliche Sümpfe ein Ziel, und so sieht sich unsere Jagdgesellschaft genötigt, links abschwenkend ihren Weg über Wilmersdorf und Schmargendorf zu nehmen. Gelockt durch den Jubel der Dorfjugend, treten die Bauern unter die niedrigen Thüren ihrer Strohhütten, und wie sie an des Zuges Spitze ihren gnädigen Landesherrn, Herrn Joachim, und seine Ehehälfte, Frau Hedwig, gewahren, fliegen die Kappen noch einmal so tief wie sonst, und wie Sonnenschein zieht’s über die braunen, harten Gesichter. Denn der Fürst ist nicht nur ein gnädiger, er ist auch ein allzeit lustiger, zu Scherz und Kurzweil aufgelegter Herr, dem es bei Gelegenheit – wenn er nämlich selbst etwas hat – auf eine handvoll Groschen oder Thaler nicht ankommt. Die Schmargendorfer und Wilmersdorfer haben noch besonderen Anlaß ihm wohlwollend nachzuschauen. Ihnen hat der Bau des neuen Hauses im Walde ein gutes Jahr voll Arbeit und Verdienst mancher Art gebracht, und wenn der Fürst hinfort nun öfter im Forste jagen wird, dürften sie bei der Lieferung von Lebensmitteln, Futter und Vorspann nicht leer ausgehen.
Ueber den moosigen Waldgrund, unter den rauschenden Wipfeln der alten Eichen, Linden und Föhren geht es in raschem Tempo dem Spliensee zu. Schon senkt sich der Weg, und durch die Hohlgasse, welche den Ausblick nach beiden Seiten hemmt, schreiten die gezügelten Rosse schnaubend auf die Lichtung am blauen See. Da erhebt sich in den Formen der deutschen Renaissance, für die es auf märkischem Sande wohl das früheste Beispiel bildet, schlank und edel die stolze Front des neuen Jagdhauses. Schöner als heute, da hohe Nebengebäude die Gesamtwirkung stören, repräsentierte sich damals das Bauwerk mit seinem stattlichen Treppenturm und der vorgelagerten Halle, mit den bunten Schildereien über der Pforte und den zierlichen Einfassungen der Fenster, die seitdem von Wind und Wetter zerbröckelt, längst durch einfache gerade Linien ersetzt sind. Die den Hof gegenwärtig in weitem Viereck einschließenden Bauten, Ställe, Vorratskammern, Küche u.a., ließ erst Kurfürst Johann Georg 1578 errichten.
Kaum hält unter Fanfarengeschmetter der Jagdzug, da eilt aus dem weiten Hofthor die Schar der Angestellten und Bediensteten, an ihrer Spitze Herr Kaspar Theiß, Joachims II. Baumeister, hinter ihm Küchen- und Kellermeister, Jagdzeugmeister, Jäger und Knappen. Mit tiefer Verneigung – sie fällt dem wohlgenährten Meister nicht ganz leicht – bietet Theiß dem Kurfürsten auf prächtigem Kissen den reich verzierten Schlüssel des Hauses, ein Meisterwerk der Schmiedekunst, dar. Joachim, nachdem er mit einem huldreichen “Seid bedankt, lieber Theiß!” seinem Getreuen die Hand gedrückt, legt den Schlüssel mit einem Scherzwort der Fürstin in den Schoß, und nachdem alle im Hofraum abgesessen, öffnet Frau Hedwig die Pforte des Schlößchens. Unter der Führung des Meisters nimmt das Herrscherpaar einen Rundgang durch die hellen, luftigen Räume vor, um sodann an wohlbesetzter Tafel sich für die Strapazen der Jagd zu stärken.
Benutzen wir die Gelegenheit, zunächst einen Blick auf das Aeußere des Jagdschlosses zu thun, das heute noch fast genau so wie vor 360 Jahren ausschaut. Es ist freilich schwer, einen die Front ganz umfassenden Gesichtspunkt zu gewinnen. Im Hofe beeinträchtigen die Bäume den Gesamteindruck, und außerhalb des Hofraumes bleibt stets ein Theil des Schlosses hinter Nebengebäuden und Bäumen verborgen. Selbst von der gegenüberliegenden Seite des Sees betrachtet, spielt der Bau Versteckens mit uns. Erst wenn die vollen Laubwipfel sich gelichtet haben, erkennt man, daß an der Rückseite zwei Erlen verzierte Flügel gegen den See vorspringen. Unmittelbar über der Eingangspforte hat der Erbauer des Schlosses eine in Sandstein gehauene Urkunde über die Zeit, den Bauherrn und die Bennenung seiner Schöpfung angebracht. Diese Inschrift ist infolge ihrer vielen, oft sehr willkührlichen Abkürzungen fast rebusartiger Natur. Aufgelöst lautet sie folgendermaßen:
“Nach Christi Geburt 1542 unter Regierung des Kaisertums Karl V. hat der durchlauchtige hochgeborene Fürst und Herr, Herr Joachim der II. Markgraf zu Brandenburg, Heiligen Römischen Reiches Erzkämmerer und Kurfürst, zu Stettin, Pommern, der Cassuben, Wenden, in Schlesien, zu Crossen Herzog, Burggraf zu Nürnberg und Fürst zu Rügen, des Heiligen Römischen Reiches Oberster Feldhauptmann, dies Haus zu bauen angefangen und am 07. März, den ersten Stein gelegt und “Zum Grünen Wald” genannt.”
Dieser Inschrift verdankt die Spandauer Forst ihre im Berliner Dialekt zu “Grunewald” umgebildete volkstümliche Bennennung.
Über diese Urkunde sehen wir ein Reliefbild: zwei im Kampf begriffene Rothirsche vor einem Kreise zuschauender weiblicher Tiere. Der Kunstwert des Bildes ist unbedeutend; doch zeigt es uns, daß der Grunewald damals noch den stolzen Edelhirsch in seinen Gründen barg. Nach dieser Darstellung ist wahrscheinlich die Gründungssage des Schlößchens gebildet worden: Kurfürst Joachim traf auf der Jagd am Schloßsee einst zwei Hirsche, deren Geweihe sich im Kampf so miteinander verflochten hatten, daß die Tiere sich nicht trennen konnten und elend umgekommen waren. Das soll ihn bewogen haben, diesen Ort für den schon länger geplanten Bau eines Jagdschloßes zu wählen. Etwas sonderbar erscheint diese Wahl insofern, als an dem feuchten, moorigen Seerande ohne starke, tiefgehende Pfahlroste wohl kaum gebaut werden konnte. Hätte sich hundert Schritte landeinwärtes auf luftiger Waldhöhe ein solches Haus nicht viel leichter und mit geringeren Kosten errichten lassen? Man hat daher nach den Gründen gesucht, die den Fürsten und seinen Baumeister veranlaßt haben, das Jagdschloß auf dem tiefgelegenen unsicheren Terrain aufzuführen, und es ist vermutet worden, daß an dieser Stelle die Fundamente eines älteren Bauwerkes vorlagen, deren Benutzung die Errichtung des Theiß’schen Baues erleichterte. Beweise dafür giebt es freilich nicht, falls man nicht annehmen will, daß ein neben dem nördlichen Hofthor gelegener kapellenartiger Raum, dessen rundbogiges Kreuzgewölbe auf einer Säule ruht, ein Rest des älteren Baues ist.
Ueber der Inschrift und der Hirschgruppe sehen wir im Giebel der Vorhalle das in Stein gehauene kurfürstliche Wappen und eine Art Sonnenuhr, die aber niemals eine praktische Bedeutung gehabt haben kann. Rechts von dem Vorbau springt der sechseckige Treppenturm, der die drei Geschosse des Hauses miteinander verbindet, aus der Front hervor. Er bildete früher nicht die einzige Verbindung zwischen den Stockwerken. Es besteht vielmehr in dem Südflügel des Schlosses eine zweite, ebenfalls in einem Türmchen befindliche Treppe, deren Lage wir von unserem Rastorte aus an den schrägen Fensterchen der Außenwand erkennen können. Diese Treppe und ein in der Eingangshalle des Schlosses rechts oben angebrachtes, dick mit Oelfarbe überstrichenes Hochrelief haben die Veranlassung zu den merkwürdigen Sagen und Legenden des Jagdschlosses gegeben. So soll z. B. der alte Kellermeister, der auf dem Bilde am Eingang dargestellt ist, nachts um 12 Uhr noch oft die große Wendeltreppe des Schlosses herabkommen und mit den Schlüsseln klappern. Auch fangen manchmal die großen alten Bratspieße unten in der gewölbten Küche an, sich von selbst zu drehen. Das Leben, das hier früher gewesen zu der alten Kurfürsten Zeiten, ist noch nicht vollständig zur Ruhe gekommen, und damals ist manches passiert, was jetzt nicht mehr vorkommt. So soll in einem Zimmer des südlichen Flügels einmal jemand eingemauert worden sein. Einige meinen, es sei d i e s c h ö n e G i e ß e r i n Anna Sydow gewesen, welche Kurfürst Joachim lieb gehabt, und deren Geist nun noch spuke; andere behaupten, es sei eine Hofdame, welche er geliebt, die seine Gemahlin während seiner Abwesenheit lebendig dort habe einmauern lassen.
Wie kommt die Sage dazu, die Gestalt jenes unseligen Weibes mit dem Jagdschlosse in Verbindung zu bringen?
Nicht mehr lange mehr war es der Kurfürstin Hedwig vergönnt, an der Seite ihres Gemahls das heimlige Haus “Zum grünen Wald” und die hügeligen Jagdgründe des schönen Forstes aufzusuchen. Als das Fürstenpaar zu Beginn des Jahres 1549 im Schlosse Grimnitz unweit der Schorfheide weilte, zog sich die Kurfürstin infolge eines Balkenbuchs der Zimmerdecke beim Sturz in die Tiefe schwere Verletzungen zu, welche, da sie schamvoll ärztliche Hilfe zurückwies, dauerndes Siechtum zur Folge hatten. Da der lebenslustige Fürst nicht daran dachte, seiner Gemahlin zu Liebe den Einsiedler zu machen, so wurde ihr Platz bald durch andere ersetzt. Eine der Huldinnen, die Joachims II. Gunst genossen, war die Witwe des kurfürstlichen Stückgießers und Artilleristen Michael Dietrich, Anna, geborene Sydow. Durch einnehmendes, stets gutgelauntes Wesen gelang es ihr, den alternden Kurfürsten ganz für sich zu gewinnen. Sie nahm an seinen Jagden und Reisen teil, residierte in den kurfürstlichen Jagdschlössern und wußte beim Herrscher manche Vorteile und Zuwendungen für sich und ihre Kinder abzuschmeicheln – zum Schaden und tiefen Verdruß des Thronerben Johann Georg. Dieser Eigennutz wurde ihr zum Verhängnis.
Der Sage nach war es im Grunewaldschlosse, ihrem Lieblingsaufenthalte, der Stätte ihres Glücks, wo sie, den Kurfürsten erwartend, vom Schicksale ereilt wurde. Sie durchwacht eine lange, bange Winternacht. Aber der, dessen sie hier harrt, kommt nie mehr. Unvermutet hat ein jäher Tod den Fürsten am 03. Januar 1571 auf dem Schlosse zu Köpenick ereilt. Sein Nachfolger zögert nicht, an der Verhaßten das Strafgericht zu vollziehen. Drei kurfürstliche Trabanten klopfen an die Thür der schönen Gießerin und entführen sie mit rauher Hand der schönen Welt, in der sie sich bei Fürstenhuld und Herrenminne so wohl gefühlt.
Es liegt der Wald in nächt’ger Ruh,
Ein Schlitten braust auf Spandau zu,
Darinen lehnt ein bleiches Weib,
In schweren Fesseln ruht ihr Leib.
Die Rosse gehn in raschem Schritt,
Die Eule ruft: Komm mit, komm mit,
Komm, Anna Sydow!
Im Juliusturm zu Spandau hat der Tod sie, wie historisch nachgewiesen ist, am 16. November 1575 erlöst.
Da ihr Aufenthalt geheim gehalten wurde, war sie für die Welt spurlos verschwunden, und es dauerte nicht lange, so ging von Mund zu Mund die Kunde, sie sei dort, wo sie in den letzten Tagen vor Joachims Tod geweilt, lebendig eingemauert. Daß diese Schauermähr sich so hartnäckig erhielt und bis auf den heutigen Tag geglaubt wird, rührt daher, daß sie sich an eine bestimmte, auch von den Mitgliedern des Herrscherhauses respektierte Lokalität des Jagdschlosses knüft. Die Wendeltreppe in dem Südflügel des Schlosses, welches noch als Zugang zu den Bodenräumen benutzt wird, bricht über dem Erdgeschoß ab, während noch der Treppenabsatz und andere bauliche Erscheinungen beweisen, daß sie ehedem hinabführte. Hier mündet sie in einem der beiden Zimmer, die an Jagdtagen der Kaiser meistens benutzt. Vor der zugemauerten Thür stand früher ein hoher weißer Kachelofen, der später durch einen bronzefarbigen ersetzt ist. In diesem unzugänglichen Treppenraum soll der Sage nach die Gießerin geendet haben.
Friedrich Wilhelm IV., der Romantiker auf dem Throne, hat sich seinerzeit geweigert, die Erlaubnis zum Oeffnen des Raumes zu geben, indem er sagte: Haben meine Ahnherrn den Treppenaufgang zugemauert, so müssen sie ihre guten Gründe dazu gehabt haben; ich will nichts daran ändern. Auch Kaiser Wilhelm I. stellte sich sich auf den Standpunkt seines Bruders. Im Jahre 1884 war der alte Kaiser gelegentlich einer Schießjagd zum letzten Male im Grunewaldschlosse, begleitet von seinem Schwager, dem Großherzog von Weimar. Letzterer soll geäußert haben, man möge doch, um allen Gerüchten ein Ende zu machen, den geheimnisvollen Raum öffnen lassen, um festzustellen, was dort vorhanden sei und was nicht. Darauf soll der Kaiser geantwortet haben, er nehme Anstand, diesen Treppenraum öffnen zu lassen, da alle seine Vorfahren seit älterer Zeit ihn verschlossen gehalten hätten. Ebenso wenig gelang es einigen Geschichtsfreunden, vom Kronprinzen, dem nachmaligen Kaiser Friedrich, die Erlaubnis zur Durchsuchung zu erhalten. Mit der Denkweise seines Vaters in diesem Punkte wohlvertraut, mußte er die Bitte, die er als Monarch vielleicht erfüllt hätte, abschlagen. So wird denn dem finsteren Treppenverließ der Reiz des Geheimnisvollen wohl noch lange erhalten bleiben, was sicherlich mehr wert ist als die Gewißheit, daß nichts dahinter steckt, welche Gewißheit überkluge Leute jetzt schon zu haben vorgeben.
Wann die Vermauerung des seinerzeit wahrscheinlich überflüssig oder unbequem gewordenen Aufgangs stattgefunden hat, ergibt sich mit ziemlicher Sicherheit daraus, daß als Verschluß im oberen Stockwerk eine eiserne Kaminplatte verwendet ist, die aus dem Anfang des XVIII. Jahrhunderts stammt. Die bauliche Veränderung hängt also wohl mit der noch zu erwähnenden Renovierung des Hauses unter König Friedrich I. zusammen und ist demnach höchst unschuldiger Natur.
Zu ebenso vielen Vermutungen und Deutungen wie die Turmtreppe hat das Relief in der Eingangshalle Anlaß gegeben. Angesichts dieses Bildes drängen sich vor allem zwei Fragen auf: Wer sind wohl die dargestellten Personen des sogenannten K e l l e r m e i s t e r r e l i e f s (Quellenangabe Nummer 12: Hinsichtlich der Deutung des Kellermeisterreliefs bin ich der sehr eingehenden und überzeugenden Darstellung des Herrn Dr. Albrecht in einer Montagsbeilage des Berliner Tageblatts gefolgt.), und welcher Vorgang ist für würdig befunden, hier in Stein verewigt zu werden?
Vielleicht bieten die unter dem Bilde eingarvierten vier Zeilen eine Antwort auf diese Fragen. Sie lauten:
Caspar Theys was sal di kleine flas
Die Concz Buntschug hot in der tas
Diser Wilkum mus zuvor heraus
Sunst wurt ein solcher lerman traus.
Diese Inschrift nennt zwei der Dargestellten: den angeredeten Kaspar Theiß, der uns schon als Erbauer des Jagdschlößchens bekannt ist, und den Besitzer der “kleinen Flasche”, Kunz Buntschuh, einen ebenfalls in kurfürstlichen Diensten stehenden, sonst nicht weiter erwähnten Baumeister. Gesprochen werden diese Worte offenbar von der dritten Person des Reliefs, die linker Hand vom Beschauer steht und an den zum Reden geöffneten Lippen und der beschwörend erhobenen Linken leicht als Sprecher zu erkennen ist. Die. Rechte legt sie an den Fuß des dickbauchigen “Willkumm”, auf dem wir die Worte: “Cas Theys es gilt” lesen. Auch sie müssen wir uns von dem Manne zur Linken ausgesprochen denken. Wer sind nun die drei Personen?
Rechter Hand steht offenbar Kunz Buntschuh mit seiner kleinen Flasche. Es war damals, weil häufig ansteckende Seuchen wüteten und zahlreiche Opfer forderten, gebräuchlich, Trinkgefäße zu ausschließlich eigener Benutzung in kleinen Taschen mit sich zu führen. Sowohl Buntschuh wie der Redende zur Linken tragen einen solchen Behälter am Gürtel. Buntschuh legt, während seine linke Hand den Trinkbecher mit aufgeklappten Deckel hält, die Rechte auf die Schulter der Mittelfigur, welche nach allem niemand anders als Theiß sein kann. In dem Redenden linker Hand dürften wir, der reicheren Kleidung wegen, eine hochgestellte Persönlichkeit vom Hofe Joachims, etwa einen Beamten oder einen märkischen Edelmann, vermuten.
Die dargestellte Begebenheit steht jedenfalls in enger Beziehung zur Baugeschichte des Schlößchens; wir deuten sie uns am besten folgendermaßen: Joachim II. wollte das Jagdschloß bauen, war aber unschlüssig, ob er den Bau Herrn Theiß oder Herrn Buntschuh übertragen sollte, die sich beide um die Ehre bewarben. Um über die peinliche Frage hinwegzukommen und keinen der beiden Nebenbuhler zu kränken, beschloß der joviale Herr, den Streit in friedlichem Duell durch die Beteiligten selbst ausfechten zulassen, und zwar sollte der für den Sieger erklärt werden, der den großen Willkumm bis auf die Nagelprobe leeren würde. Vergebens sucht Kunz Buntschuh, offenbar der schwächere Trinker, seinen Gegner zu überreden, diese Bedingung zu umgehen und den Wettstreit mit einem kleineren Gefäß auszufechten. Der überwachende Hofbeamte hält auf strikte Befolgung der Bedingungen und findet damit bei Theiß, der den Willkumm schon selbst anhebt, williges Gehör. Daß er seine Fähigkeiten nicht überschätzt hat, beweist der Umstand, daß er das Schloß aufführen durfte, beweist auch unser Relief, das er vielleicht selbst angefertigt hat, ohne zu ahnen, wie viel Kopfzerbrechen es der Nachwelt machen würde.
Joachims II. Nachfolger benutzten das Haus “Zum grünen Wald” sämtlich mehr oder minder fleißig, ohne jedoch Wesentliches für die Erhaltung des Baues zu thun. So war es denn beim Regierungsantritt Friedrichs III. schon sehr reparaturbedürftig geworden. Indessen wurde dieser Herrscher durch die Ausführung der von ihm geplanten großartigen Neubauten in Berlin, Potsdam und Charlottenburg so in Anspruch genommen, daß er erst nach seiner Krönung an die vollständige Ausbesserung des Jagdschlosses denken konnte. Sie wurde 1706 vollendet.
Da seitdem tiefgehende Veränderungen nicht mehr stattgefunden haben, so zeigt das Innere des Jagdschlosses fast durchweg den Dekorationsstil des ersten Preußenkönigs. Die Zimmerdecken, die Simse, die Wandschilde über den Kaminen u.a. sind in der damals üblichen Gipsstuckatur und Reliefarbeit ausgeführt, tragen die Chiffre Friedrichs I. mit der Köningskrone und werden in dieser Manier sorgfältig erhalten. Ergänzt wird die Ausstattung der Zimmer und des kleineren Jagdsaals durch viele Porträts von Fürsten, Generalen und Hofleuten sowie durch kuriose, oft humoristische Jagd- und Tierbilder, die meist aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. stammen. Unter anderen Kuriositäten ist ein eiserner Kronleuchter zu erwähnen, der das Geweih eines Hirsches umfaßt und folgenden Ursprung hat: im Jahre 1599 flüchtete in Landsberg an der Warthe ein von hungrigen Wölfen verfolgter mächtiger Kronhirsch durch das Stadthor und suchte Schutz in der gerade offen stehenden Kirche. Vor dem Altar stürzte er nieder und ließ sich geduldig ergreifen. Sein Geweih wurde in Leuchterform eingefaßt, im Jahre 1600 in der Kirche aufgehängt und gelangte von hier aus ins Jagdschloß. (Anmerkung Gerber: Andere Quelle: “1599 Verheerendes Hochwasser; ein Hirsch sucht Zuflucht in der Marienkirche”). Noch älter ist vielleicht ein reichgeschnitzter Schrank im Jagdsaal, in dessen einen Thürflügel ein großes weibliches Brustbild eingelassen ist, eine vorzügliche Holzbildhauerarbeit. Es soll das Porträt der schönen Gießerin sein; man wird jedoch gut thun, dieses “soll” dreimal zu unterstreichen.
Unter Friedrich I. wurde auch das Mansardendach des Hauses hergestellt und die Wetterfahne mit ihrer einige Schriftstücke enthaltenen Kapsel angebracht. Wir sehen diese Fahne jetzt auf dem nördlichen Giebel des langgestreckten Nebengebäudes. Die Jägerfigur mit dem Hirsche darauf stellt laut einer Notiz in dem Knopfe König Friedrich I. dar, wie er als Kurfürst 1696 in der Gegend von Fürstenwalde einen Sechsundsechzig-Ender erlegt. Sein praktischer Nachfolger soll das Geweih dieses gewaltigen, 5 Centner 35 Pfund wiegenden Tieres gegen einige “lange Kerle” an den Kurfürsten von Sachsen vertauscht haben.
Der alte Fritz, der, ungleich seinem jagdlustigen Vater, dem Waidwerk durchaus anhold war, ließ im Jahre 1770 den Jägerhof zu Berlin, ein altes fürstliches Vorwerk in der Gegen der heutigen Reichsbank, räumen und das dort aufbewahrte Jagdzeug nach Schloß Grunewald schaffen. Zu diesem Zwecke wurde der große Jagdschuppen ausgebaut, bei welcher Gelegenheit auch der Knopf der Wetterfahne geöffnet und mit weiteren Nachrichten versehen wurde. Der große König ließ den Jagdzeugmeister Schenk mit zwei oder drei Jägern, die zur Beschießung der königlichen Küchenjagd angestellt waren, im Schloße wohnen; er selbst hat es als König wahrscheinlich nie betreten.
Seine beiden Nachfolger, wenngleich auch sie nicht jagten, haben doch das Waldidyll am Schloßsee nicht so vernachlässigt. Friedrich Wilhelm III. z.B. verweilte, wenn er mit seiner zweiten Gemahlin, der schönen Fürstin Liegnitz, bei Beginn des Sommers nach Charlottenburg übergesiedelt war, hin und wieder gern einige Tage in traulicher Zurückgezogenheit im Grunewald. Am Ufer des Sees hatte er sich ein hölzernes Angelhäuschen bauen lassen, um auch im Regen nach gefallen dort sitzen zu können.
Im Jahre 1814 nahm eine andere “hohe Frau” die Gastfreundschaft des Grunewaldschlosses auf kurze Zeit in Anspruch. Nachdem Blücher die von den Franzosen aus Berlin entführte Victoria zu Paris entdeckt und reklamiert hatte, kehrte mit den Siegern auch die Göttin in ihre Heimat zurück. Von Düsseldorf aus, wo sie unter Glockengeläut und Kanonendonner feierlichen Einzug gehalten, wurde sie im Triumphzuge über Hannover und Braunschweig nach dem Werder bei Potsdam gebracht. Von hier siedelte sie auf kurze Zeit in das Haus “Zum grünen Wald” über. Am 15. Juni hielt sie sodan ihren Einzug in Berlin, um hier von der Höhe des Brandenburger Thores aus die heimkehrenden Truppen zu begrüßen. Die Gaben, welche das jubelnde Volk ihr auf ihrem Triumphzuge durch Preußen dargebracht – Blumen, Kränze, Schleifen mit Inschriften – bildeten noch Jahre hindurch einen erhebenden Schmuck der Räume des Jagdschlosses.
Im weiteren Verlauf des XIX. Jahrhunderts hat der alte Bau der edlen Gäste genug gesehen. Bis vor wenigen Jahren sah man rechts und links von der Eingangsthür des Schlosses zwei entrindete Baumstümpfe, in welche die Buchstaben A und N eingeschnitten waren. Sie rührten von zwei Baumriesen des Grunewaldes her, unter denen während eines Manövers im Jahre 1837 die russischen Großfürsten Alexander und Nikolaus gerastet hatten.
Wenn wir den stillen, an heißen Sommertagen wie verzaubert daliegenden und vom Dufte des blühenden Holunders durchfluteten Hof durchschreiten, gewahren wir die von König Wilhelm I. im Jahre 1862 hier aufgestellte, aus Gußeisen bestehende Wildschweingruppe, welche ungemein naturtreu den Kampf eines Ebers mit den ihn “deckenden” Rüden darstellt. Nur in den Herbst- und Wintermonaten, wenn das Schlößchen den Rendezvous-Platz der Teilnehmer an den Wildschwein- und Dammwildjagden bildet, regt sich in seinen sonst nur vom Jagdzeuginspektor bewohnten Räumen ein frohes und flottes Leben und Treiben.
Frau Sage dagegen spinnt fleißig ihre Fäden um Schloß und See, wie u.a. folgende hübsche, von P. Kunzendorf aufgelesene Mär beweist:
“Als ein Fischer auf dem stillen See beim Jagdschloß Grunewald sein Netz hochziehen wollte, bemerkte er, daß es fest saß und nicht los kam, er hätte es denn in Stücke gerissen. Da hörte er plötzlich ein seltsames Summen und Surren, das aus der Tiefe des Sees drang, und als er näher hinhörte, da vernahm er deutlich Glockengeläute. Gleichzeitig fiel ein heller Sonnenstrahl auf den See, und aus der Mitte des Sees ragte deutlich die vergoldete Spitze eines Kirchtumres hervor, an welcher sein Netz hing, das er nun leicht ablösen konnte. Gleich darauf verschwand auch die Turmspitze wieder. Das ist die Kirche einer kleinen Insel, die einst im See lag, und von guten Menschen bewohnt war, aber vor langen, langen Jahren in die Tiefe sank.”
Bist Du ein Sonntagskind, so hörst auch Du wohl die versunkene Glocke hier läuten!“