Berliner Wildschweine: Die einen treu im Kiez, die anderen aus dem Umland

In Berlins Stadtwäldern gibt es isolierte Wildschweinpopulationen und es gibt städtische Wildschweine, die aus ländlichen Gebieten stammen. Das ist das verblüffende Ergebnis der Kooperationsstudie des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, dem Landeslabor Berlin Brandenburg und dem Naturkundemuseum Luxemburg. Im Rahmen einer Leibniz-IZW Doktorarbeit, die von National Geographic und der Stiftung Naturschutz Berlin unterstützt wird, untersuchten die Forscher genetische Daten von 387 ausgewachsenen Wildschweinen aus Berlin und seinem Umland. Die ersten Forschungsergebnisse wurden jetzt im „Journal of Applied Ecology“ veröffentlicht.

Infolge der weltweiten Urbanisierung leben immer mehr Wildtiere in Städten, auch in Berlin, das auch als Hauptstadt der Wildschweine bekannt ist. Vier Forstgebiete decken 20 % des Berliner Stadtgebiets  mit großflächigen Wäldern ab, ideal für Wildtiere aller Art. Wildschweine leben allerdings nicht nur in den Stadtwäldern, sondern werden auch regelmäßig in innerstädtischen Parks oder Gärten gesichtet und bringen dort sogar Frischlinge auf die Welt.

Urbane Strukturen könnten zu „Insel“populationen führen, die durch wenige Gründertiere etabliert werden und danach keinen Austausch mit ländlichen Populationen mehr haben. Alternativ, so eine andere Idee, könnten urbane Gebiete Abwanderer aus dem ländlichen Raum auffangen und bei einem kontinuierlichen Austausch zwischen Stadt und Land eine gemeinsame genetische Struktur behalten. Bislang war unklar, wo die Berliner „Stadtschweine“ herkommen. Handelt es sich um Abwanderer aus den benachbarten Stadtwäldern oder aus dem ländlichen Umland? Entwickelten sich daraus isolierte Teilpopulationen oder gibt es weiterhin einen Austausch über die Landesgrenzen? Um diese Fragen zu beantworten, sammelten die Forscher Gewebeproben von 387 Wildschweinen aus Berlin und Brandenburg.

„Überraschenderweise handelt es sich bei den Wildschweinen der Berliner Stadtwälder um drei isolierte Populationen, die im Kerngebiet des Grunewalds, im Tegeler Forst sowie im Köpenicker Forst vorkommen. Hingegen bilden die Wildschweine aus Pankow, dem vierten Forstgebiet Berlins, eine zusammenhängende Population mit den untersuchten Brandenburger Wildschweinen“, sagt die Doktorandin Milena Stillfried, die die Studie durchführte. Ihre Analysen zeigen, dass es mindestens zwei unabhängige Besiedlungsprozesse der Stadtwälder gegeben haben muss, einmal im Grunewald und einmal in Köpenick. Die dritte Population im Tegeler Forst ist aus der benachbarten Population im Grunewald entstanden.

„Besonders verblüffend ist die Tatsache, dass Wildschweine aus dem innerstädtischen Bereich aus Brandenburg und nicht aus den Stadtwäldern stammen“, erklärt Stillfried. Somit lassen sich in Berlin zwei Urbanisierungsprozesse beobachten. Zum einen entstehen isolierte Populationen in den Stadtwäldern, zum anderen fungiert der Siedlungsbereich als Auffangbecken für die Brandenburger Landpopulation. „Nie hätten wir erwartet, dass sich urbane Strukturen eins zu eins in der genetischen Struktur der Wildschweinpopulationen abbilden“, so die Initiatorinnen des neuen Forschungsschwerpunktes „Urbane Wildtierökologie“, Stephanie Kramer-Schadt und Sylvia Ortmann, die diese Initiative 2012 am Leibniz-IZW ins Leben gerufen haben.

Offensichtlich verstehen es die flexiblen und anpassungsfähigen Tiere, sich neue, städtische Lebensräume erschließen. Während Wildschweine in ländlichen Gebieten scheu sind und Begegnungen mit Menschen meiden, finden Wildschweine in der Stadt Lebensräume in unmittelbarer Nähe zum Menschen und verlieren ihre Scheu.

Genetische Muster sind oft durch Landschaftsstrukturen beeinflusst. Ist es also denkbar, dass die isolierten Populationen im Grunewald und in Tegel ein Ergebnis der Berliner Mauer, also der Berliner Geschichte sind, die möglicherweise auch eine unüberwindbare Grenze für Wildtiere darstellte? Nun, auch im Köpenicker Forst, der nicht durch eine Mauer abgetrennt war, fand ebenfalls ein Urbanisierungsprozess der Wildschweine statt, der zu einer isolierten Population führte, so dass die Berliner Mauer als alleiniger Erklärungsgrund für die Entwicklung der Struktur der Wildschweinpopulationen nicht ausreicht. Eine andere Erklärung ist naheliegender: Die Kerngebiete der isolierten urbanen Populationen sind zum großen Teil von landschaftlichen Barrieren wie großen Straßen und Wasserläufen eingegrenzt, die die Mobilität der Wildschweine in alle Richtungen erschweren könnten – obgleich Wildschweine durchaus Straßen überqueren können und als gute Schwimmer gelten.

Wildschweine in urbanen Gebieten sind bekannt für die Schäden, die sie bei der Nahrungssuche auf privaten und öffentlichen Grünanlagen verursachen. Viele BürgerInnen haben auch Angst vor den eigentlich meist friedlichen Wildschweinen. Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Populationsstruktur der Wildschweine in Berlin und Brandenburg werden zum Verständnis von Prozessen der Urbanisierung von Wildtieren beitragen und die Behörden in ihren Bemühungen unterstützen, Konflikte möglichst zu minimieren. Diese Studie wird teilweise aus Mitteln der Jagdabgabe finanziert.

 

Publikation:

Stillfried M, Fickel J, Börner K, Wittstadt U, Heddergott M, Ortmann S, Kramer-Schadt S, Frantz A (2016): Do cities represent sources, sinks or isolated islands for urban wild boar population structure? Journal of Applied Ecology. DOI: 10.1111/1365-2664.12756.

 

Quelle: Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW)  im Forschungsverbund Berlin e.V., Pressemitteilung vom 26.09.2016

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